Dienstag, 30. März 2010

PSALM

Mystische Liebeslieder aus dem europäischen Mittelalter (von Hildegard von Bingen bis Guillaume Dufay) und dem osmanischen Reich
mit dem Ensemble Sarband unter Leitung von Vladimir Ivanoff. 















Miriam Andersén, Gesang & Gotische Harfe

  Dogan Dikmen, Gesang

Susanne Ansorg , Vielle
Celaleddin Biçer
, Ney & Kanun
Judith Haug
, Bildprojektionen
Vladimir Ivanoff, Perkussion, Laute & Oud  



Koran-Sure: As-Saffat ("Jene eingereiht in Ränge") Vier gregorianische Marienantiphonen (Ms. Kopenhagen 13)

Sequenz, Hildegard von Bingen
O virga ac diadema

Lied, Ismail Dede Efendi
Ben sana asik degilim

Lauda, Codex Magliabechiano
Vergene doncella

Istampita
Bel fiore danca

Madrigal
Posando I'Ombra

Instrumental, Hasan Can
Gülsen-i raz (Mystischer Garten)

Mystische Hymne
Ey garip bülbül

Lauda, Codex Cortona
Regina Sovrana

Lied
Ne hevayi bag-i sazed

Lauda, Codex Cortona
Laude Novella

Lied, Hafiz Post
Bahar geldi

Cantiga de Santa Maria Nr. 103
Quen na virgen

Mystische Hymne
Mohammed baginin gülüdür Ali

Mystische Hymne
Gel gülsen-i tevhide

Rondeau, Guillaume Dufay
Quel fronte signorille in paradiso




Der „Hortus conclusus“, der verschlossene Garten, der eingemauerte Ort der Seligkeit ist ein Motiv, das sich durch die Kulturgeschichte des Orients und Europas zieht. So geht unser Wort „Paradies“ auf das altpersische „pairidaeza“ zurück, was „ummauert“ bedeutet. Mit einer Quelle in der Mitte, von fruchttragenden Obstbäumen und duftenden Blumen umgeben, so findet man den idealen Paradiesgarten sowohl in christlichen wie muslimischen Darstellungen des Mittelalters. Europäische und osmanische Musik über verschlossene, geheimnisvolle und frisch erblühte Gärten machen erfahrbar, wie „geistliche“ und „weltliche“ Sphären in einer universalen Mystik der Liebe untrennbar werden. Sarband präsentiert eine interkulturelle Spurensuche: diesmal als Geschichte der verzauberten Gärten. 



„Sarband ist sicherlich das originellste Ensemble für Mittelalterliche Musik“ (Neue Musikzeitung). – Sarband bedeutet Verbindung, das besagt schon der Name, der aus der persischen Musiktheorie stammt und für die improvisierte Brücke steht, die zwei Kompositionen miteinander verknüpft.
Ensembleleiter Dr. Vladimir Ivanoff, der Sarband 1986 gründete, ist als Forscher und Musiker ein Brückenbauer zwischen Kulturen, Menschen und Zeiten: Seine Programme vereinen Menschen aus den verschiedensten Kulturen und Hintergründen, vermitteln zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Alter Musik und lebendigen Traditionen. In der Welt von Sarband musizieren Künstler aus Bulgarien, der Türkei, dem Libanon, dem Irak, Schweden, England, Italien und Deutschland miteinander.
Die Zusammenarbeit innerhalb des Ensembles ist kein modisches Crossover-Treffen, sondern kontinuierlich angelegt und ein gleichberechtigter Dialog. Jeder Künstler bringt uneingeschränkt seine heimische Tradition, seine eigene Geschichte und seine persönliche Kreativität in die Programme ein. Stehen heute meist die religiösen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Differenzen zwischen Orient und Okzident im Vordergrund, so will Sarband zeigen, dass die Musik nicht nur Dekor, sondern weltoffenes Medium gegenseitigen Respekts war und auch heute noch sein kann: ein Beispiel für Verständnis und Anerkennung, ein Exempel des Friedens.
Die Welt von Sarband ist eine Welt der Reisenden in der heutigen Zeit, die wie noch nie zuvor von fast grenzenloser Mobilität und Migration geprägt ist. Das Ensemble nimmt sein Publikum mit auf eine Reise durch Raum und Zeit, durch Religionen und Kulturen. Es ist eine Reise, auf der man die gewohnten Bahnen des Denkens und des Musikbetriebs hinter sich lassen kann, wenn man sich ganz auf die Botschaft von Sarband einlässt. Man darf sich verzaubern lassen von Programmen, die von Toleranz, Offenheit und Innerlichkeit geprägt sind, in denen Zeiten und Menschen zusammengeführt werden: Programme mit Repertoire aus der Alten Musik verbinden die historische Aufführungspraxis Europas mit den lebendigen Traditionen des Mittelmeerraums. Hier widmet sich Sarband immer wieder gerne dem Osmanischen Reich als kulturell hochstehendem, religiös tolerantem Vielvölkerstaat mit reichem musikalischem Erbe.
In Kooperationen mit anderen Ensembles und Orchestern (u. a. King’s Singers, Concerto Köln, Mystère des Voix Bulgares) werden - oft auf ironische Weise - Differenzen zwischen Kulturen (türkische und Wiener Walzer) und Religionen (jüdische, christliche und muslimische Psalmvertonungen), zwischen Alt und Neu (Guillaume de Machaut und Erik Satie) hinterfragt. Die vielfältigen Programme von Sarband bieten - in verschiedenen Ensemblegrößen, die von intimen, stillen Besetzungen bis hin zum Orchester reichen - die unterschiedlichsten meditativen, mitreißenden, manchmal humorvollen Stimmungen. Gemeinsam ist ihnen immer die Intention, ein friedliches Zusammenleben der Menschen und Kulturen aufzuzeigen und sinnlich erfahrbar zu machen.


Kritik KLEINE ZEITUNG

GRAZ. Vladimir Ivanoff ist ein feinsinniger Kartograph des Außergewöhnlichen. Der gebürtige Bulgare, von München aus in aller Welt tätig, gehört (auch als Mitdenker) quasi schon zum edlen Inventar des Festivals "Psalm". Diesmal lockte der Perkussionist in der List-Halle in Paradiese, wie sie von Christen und Moslems zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert besungen wurden, ob in Italien oder Spanien, in Ägypten oder der Türkei.
Reizvoll allein die Spektren der Singstimmen in Ivanoffs Ensemble "Sarband": Hier die Schwedin Miriam Andersén, die als Frau Elfe mit ihrem märchenhaften Glockensopran etwa in Hildegard von Bingens inniger Marien-Sequenz den Begriff "schlicht und ergreifend" aufs Schönste neu deutete. Dort Mustafa Dogan Dikmen aus Istanbul, der mit gutturaler Technik die Mäander vornehmlich osmanischer Lieder herrlich auskostete. Ivanoff selbst mit dezenten Rhythmus-Akzenten, Susanne Ansorg mit ihrer zart besaiteten Fidel und vor allem Celaleddin Biçer als uneitler Virtuose an der orientalischen Zither Kanun sorgten für prächtige Begleitung.
Auffallend an christliche Laudes ebenso wie an den Suren aus dem Koran: Immer schwingt in den Lobgesängen auf die Angebeteten auch lichte Erotik mit. Und so bekam der Titel des Abends "Die verschlossenen Gärten" eine weitere Konnotation. Ein kleines Kunststück für sich waren die eingeblendeten Texte, projiziert auf Fotos von Gregorianik-Partituren, Bibel-Miniaturen oder Orient-Teppichen. Kurz: Kunstgenuss aus einem Guss.
MICHAEL TSCHIDA




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